Let’s be our failures!

Lorenz
3 min readJan 28, 2021

Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. Aber bin ich bin ich bin ich? Dass eine Rose eine Rose ist, kann ich akzeptieren und widersprechen würden mir hier sicher nur wenige, das ist ja ziemlich objektiv. Aber wer bin ich? Und wer hat die Deutungshoheit darüber, wer ich bin? Ich? Du? Wir? Sie? Oder der Starbucks-Verkäufer? Und worüber definiere ich mich? Und worüber definierst du mich? Für den Starbucks-Verkäufer ist die Sache einfach, er definiert mich über die Schallwellen, die sein Ohr erreichen. Aber Moment, warum heiße ich dann für den einen Dorent und für den anderen Noness (was für ein cooler Mix aus Nonsense und Lochness, definitiv Spitznamen-Potenzial!). Er definiert mich also darüber, wie er die Schallwellen interpretiert. Wenn der Starbucks-Verkäufer mich interpretieren darf, darf ich das auch, oder?

Gut, nächster Schritt: Worüber möchte ich mich definieren? Meinen Namen? Zu leer! Wo ich herkomme? Zu rückwärtsgewandt! Wo ich hinwill? Warum nicht, aber so genau weiß ich das ja gar nicht. Meine Erfolge? Die Versuchung liegt nah und tatsächlich bieten die neuen Medien mir ja die totale Kontrolle darüber, was ich aus meinem Leben teile. Aber warum eigentlich nicht über meine Misserfolge? Sagen die nicht viel mehr über mich aus, als meine Erfolge? Rein quantitativ sind die Erfolge ja doch relativ selten. Warum poste ich mein gesundes Frühstück, ein Foto von meinem Uniabschluss, von einem glücklichen Familienausflug und mein neuen 10k-Rekord? Warum poste ich nicht, dass ich schon wieder nicht aufstehen konnte und mir nur Süßigkeiten bei getir bestellt habe, dass ich meine Aufgaben wieder bis zum letzten Moment vor mir herschiebe, dass ich kein gutes Verhältnis zu meinen Geschwistern habe und ein ganz schlechter Freund bin. Wären die Reaktionen nicht viel interessanter? Könnte daraus nicht etwas Schönes entstehen?

Tatsächlich ist nämlich die entscheidende Frage: Warum definieren wir uns? Eine Definition ist so etwas Abgeschlossenes. Eine Rose ist eine Rose! Bäm! Ein Apfel ist ein Obst! Bäm! Ich bin sportlich, sozial und intellektuell! Bäm! Ein Dialog entsteht daraus nicht, höchstens gibt es Likes und Herzchen. Wenn ich meinen 10k-Lauf poste, krieg ich 15 Kudos, 13 Herzchen und 2 “Wow Lorenz!”. Und dann? Wenn ich aber poste, dass ich mal wieder nicht aufstehen konnte, weil ich mich frage, warum eigentlich, kriege ich vielleicht Antworten und ein Dialog entsteht. Deswegen: Warum definieren wir uns nicht über unsere Misserfolge? Misserfolge sind doch irgendwie interessanter und bieten mehr Möglichkeiten, etwas daraus zu entwickeln.

Ich bin Lorenz, ich ernähre mich verdammt ungesund, habe viele Ideen, kriege aber kaum eine umgesetzt, weil ich ziemlich faul und undiszipliniert bin. Und ich verlasse viel zu selten meine Komfortzone. Und ich bin sozial ziemlich inkompetent. Nicht im Sinne harte Schale, weicher Kern. Nein, mehr so im Sinne sozial inkompetent. Ich könnte meinen Freunden öfter sagen, dass ich sie liebe und dass sie mir wichtig sind. Ich könnte weniger an mich selbst denken und mehr an andere Menschen. Ich könnte weniger Angst haben.

Wir sind die Geschichten, die wir erzählen. Und Erfolgsgeschichten sind langweilig. Nur die 100 Misserfolge die dahin führen, machen sie interessant. Frodo Beutlin erbt einen Ring und erfährt von Gandalf, dass er ihn in den Schicksalsberg werfen soll. Er reitet zum Schicksalsberg und wirft ihn ins Feuer. Keiner würde diese Geschichte lesen. Aber die Ringgeister, Frodos Bürde, Frodos Zweifel, Gollums Gier, Boromirs Schwäche, sie alle machen die Geschichte so spannend. Deswegen sollten wir alle mehr Schwäche zeigen, mehr über unsere Misserfolge sprechen und lieber unsre Ängste teilen als unsern Mut. Ich bin Lorenz und ich habe verdammt oft Angst.

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